Eine Frau rief gerade an und teilte mir ihr Interesse an dem Job aus der Stellenanzeige im Internet mit. "Welche Stellenanzeige?", erkundigte ich mich, immerhin suchen wir gerade niemanden. "Bei Stepstone, ich habe eine Nachricht von denen bekommen, dass bei Ihnen eine Aushilfe gesucht wird", erwiderte sie.
Was doppelt kurios ist. Nicht nur, dass wir gerade niemanden suchen und dementsprechend wenig Stellenanzeigen online haben – nein, ich habe auch mit Stepstone noch nie zu tun gehabt, geschweige denn, dort jemals im Leben eine Anzeige geschaltet.
Da zieht man mit einem Bewerber das komplette Programm durch, angefangen beim Vorstellungsgespräch inklusive unserer "Schnupperkasse", einer Proberunde und Ersteinweisung an der Kasse, über das über über mehrere Tage verteilte, mehrstündige Kassentraining bis hin zum abschließenden Stresstest, der bei erfolgreichem Bestehen zum alleinigen Kassieren bei uns befähigt – und dann fällt diesem jungen Mann doch plötzlich ein, dass seine Arbeitserlaubnis diesen Minijob leider nicht zulassen würde. Er entschuldigte sich dafür und bedankte sich für die Mühe und die nette Zeit zusammen. Immerhin.
Nicht nur die vielen Stunden, die wir investiert haben, auch ich war schon nicht untätig und hatte allen Papierkram in die Wege geleitet, angefangen von einer eigenen Personalmappe und Stempelkarte bis hin zur Anmeldung beim Lohnbüro.
Es sind also nicht immer nur die Arbeitgeber, die sich irgendwie komisch verhalten.
Dass es immer mühsamer wird, Mitarbeiter zu finden, habe ich auch bei der diesjährigen Inventur erlebt. Es hatten sich sonst immer sehr viele Leute mit Interesse an dem kleinen Job gemeldet. Darum war ich irgendwann dazu übergegangen, den Hinweis "erfahrene" auf den Aushang zu drucken. Das sollte einerseits automatisiert eine kleine Vorauswahl treffen, andererseits mir bei Bewerbern, bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie sich morgens die Schuhe nicht alleine zubinden, die Möglichkeit freihalten, sie mit dem Hinweis auf die Erfahrung abzulehnen.
Nachdem mich letzte Woche ein junges Mädchen angesprochen hatte, ob denn auch Schüler mitmachen dürften, habe ich das Schild etwas überarbeitet. Das Inventurteam ist diesmal im Durchschnitt insgesamt etwas jünger als in der Vergangenheit, aber die Leute, darunter tatsächlich einige Schüler und Studenten, haben das bei der Einweisung allesamt sehr gut gemacht.
Inzwischen haben wir auch genug Aushilfen zusammen und so sehe dem Samstag recht gelassen entgegen. Ich würde mich jedenfalls wundern, wenn diese Inventur nicht wie bei mir (fast) üblich völlig entspannt vonstattengehen würde. (Wer schon mal in irgendeinem Filialunternehmen Inventur gemacht hat, wird mir zustimmen, dass die Tage meistens eines nicht sind – nämlich entspannt.)
Es ist mal wieder so weit – traditionell am zweiten Samstag im Januar findet unsere große Inventur statt und dafür brauche ich wieder ein gutes Dutzend Aushilfen. Diesmal gibt es 12,41 Euro pro Stunde für die Zählerei und weil ich für das Geld auch ein bisschen was erwarte, bleibt es bei den erfahrenen Aushilfen.
Ein junger Mann, der auch immer wieder mal bei uns einkauft, sprach mich an. Er würde jetzt nach der Schule etwas in der Luft hängen und hat gerade keine konkreten Zukunftspläne, da er sich selbst finden müsse. Ob wir nicht noch Aushilfen suchen würden, wollte er wissen.
Er fragte mich an einem Mittwoch Nachmittag und da wir tatsächlich noch Leute suchten, die hier zweimal pro Woche, dienstags und freitags, die Ware verräumen, lud ich ihn sofort ein, am Freitag für einen Probetag herzukommen. Er stimmte zu und war auch am Freitag pünktlich da und er war auch wirklich fleißig.
"Probetag" heißt bei mir, ich erkläre zunächst, wie das alles funktioniert und worauf man zu achten hat und dann arbeitet der Bewerber oder die Bewerberin einmal hier einige Stunden mit. Setzen wir den Job fort, schreiben wir die geleisteten Stunden selbstverständlich schon mit auf, brechen wir nach dem Tag ab, sind die Stunden jedoch unbezahlt verloren.
Ihm hatte die Arbeit hier im Laden und mit den Kollegen gefallen, sagte der Bewerber am Ende des Tages. Super. Ich druckte die vielen benötigten Unterlagen aus, z.B. den Bewerbungsbogen für die persönlichen Daten, und wir verabschiedeten uns: "Bis Dienstag dann und schreib die vier Stunden von heute mit auf einen Zettel, dann trage ich die mit ein."
Am Dienstag rief er ein gutes Stück nach geplantem Schichtbeginn an und teilte meinem Mitarbeiter mit, dass er sich verspäten würde. Da wir nicht so viel Ware bekommen hatten und es sich nicht mehr gelohnt hätte, herzukommen, sollte er an dem Tag kurzerhand zu Hause bleiben. Mein Kollege sagte ihm doch, dass er am Freitag aber wieder zur selben Zeit hier auf der Matte stehen soll.
Am Freitag kam er nicht. "Vielleicht", redete ich mir wohlwollend ein, "hatte er es so verstanden, dass er nur dienstags arbeiten soll."
"Der kommt nicht mehr, den kannste knicken!", ließen die Kollegen unisono verlauten. Ich hatte jedenfalls beschlossen, noch bis Dienstag zu warten. Wenn er dann kommt und erklären kann, was los war, würde ich ihm die Chance auf den Job hier dennoch gewähren.
Dass er nicht mehr auftauchte, brauche ich nicht extra zu erwähnen, oder?
Meine Stellenanzeige: "… Aushilfen zum Ware Verräumen, dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Getränkeabteilung. Regelmäßige Arbeitszeiten: Dienstags und Freitags, ca. 7-15 Uhr"
Der Bewerber: Gymnasiast an einer Regelschule hier in Bremen, macht sein Abi voraussichtlich in zwei Jahren. Aber hat vermutlich nicht den Leistungskurs Deutsch.
Das Telefon klingelte, ich ging ran und meldete mich wie gewohnt. Eine offenbar weibliche Stimme war am anderen Ende der Leitung zu hören und sie plapperte direkt ohne Begrüßung drauf los:
"Hallo, ich hatte angerufen wegen der Aushilfe."
"Wo hatten Sie angerufen?"
"Bei EDEKA doch, oder?"
"Das weiß ich nicht. Wann war denn das?"
"Na, jetzt gerade."
"Okay. Und um was geht es jetzt genau?"
"Ich wollte nachfragen wegen der Aushilfe bei Ihnen."
Es dauerte einen Augenblick, aber dann fiel bei mir der Groschen:
"Sie wollen sich um eine Aushilfsstelle bei mir bewerben?"
Genau das wollte sie. Allerdings konnte ich ihr da aktuell nicht weiterhelfen. Da mich schon das Telefongespräch an die mentale Schmerzgrenze geführt hat, wollte ich mir den Rest gar nicht erst mehr geben …
Aus dem Anschreiben einer Initiativbewerbung. Ich bin mir nicht sicher, was mich mehr daran irritiert: Dass sich der Bewerber selber als Aushilfe "m/w/d" bezeichnet oder die darauf folgende allgemein gehaltene Anrede als "Ansprechpartner(/in)".
Eine Bewerberin konstatierte, dass sie beim Mitbewerber 50 Cent mehr pro Stunden für den Aushilfsjob bekommen würde.
"Das mag sein", sagte ich. "Aber die Stimmung bei uns hier im Team wiegt die Differenz bestimmt locker wieder auf. Hier macht es meistens Spaß und der Chef steht nicht mit der Peitsche hinter einem."
Hat schon seinen Grund, dass im Laufe der Jahre dutzende Mitarbeiter, die uns aus welchen Gründen auch immer verlassen haben, erneut nach einem Job hier fragten.
Noch ein kleines Anekdötchen vom Inventur-Samstag: Eine Helferin mit Schmacht sprach mich an, ob sie mal eben schnell eine Zigarettenpause machen könne.
"Ja, kein Problem. Aber vorne vor dem Laden."
"Nicht hier im Pausenraum?"
"Nein. Wir haben hier drin ein striktes Rauchverbot."
Statt sowas wie 3 Voll- und 32 Teilzeitlern könnte man doch auch einfach 19 Vollzeitler beschäftigen. Oder einfach größtenteils Vollzeitler und einige Teilzeitler, weil man die Einsatzzeiten der Letzteren besser auf Flaute und Sturm anpassen kann.
Oder scheitert's schon daran, daß man den Teilzeitlern weniger pro Stunde zahlt in Hinsicht auf deren geringeren Steuersatz oder weil die zum Teil als Aufstocker ja auch Geld vom Amt erhalten?
Ist nicht gerade eine konkrete Frage an mich, aber ich habe das mal als Anlass genommen, über eine schwierige Gratwanderung zu schreiben, die mich hier schon seit fast zwei Jahrzehnten verfolgt: Stellt man besser Vollzeitkräfte, Teilzeitmitarbeiter oder Aushilfen ein?
Wenn man nicht nur Vollzeitkräfte einstellt, wird man ja gerne von Außenstehenden (oder Stammtischsitzenden) als wenig sozialer Arbeitgeber beschimpft. Aber es gibt nun mal auch einen Markt für Leute, die weniger Stunden arbeiten wollen (oder nur können) und auch Aushilfsjobs auf 450-Euro-Basis sind heiß begehrt, die Schüler und Studenten unter euch werden wohl kaum irgendwo eine Vollzeitanstellung übernehmen wollen.
Mitarbeiter mit mehr Stunden identifizieren sich meistens mehr mit dem Unternehmen und sind einfach viel tiefer in der ganzen Materie drin. Bei Aushilfen, die nur einen oder maximal zwei Tage pro Woche mal da sind, kann diese Verwurzelung meistens gar nicht wachsen. So gesehen ist die Anstellung von (interessierten) Vollzeitmitarbeitern für den Betrieb schon sehr wichtig.
Aber es gibt noch einen weiteren Punkt: Mit der Anzahl der Mitarbeiter wächst auch die Ausfallsicherheit. Wenn eine Aushilfe ausfällt, bricht nur ein Viertel der Stunden weg, die eine Vollzeitkraft macht. Krankheiten und Urlaub lassen sich somit natürlich viel leichter überbrücken.
Ich denke, es gibt nicht den einen richtigen Weg. Hier im Markt in der Gastfeldstraße habe ich aktuell 26 Mitarbeiter/innen. Darunter sind 9 in Vollzeit (35 bzw. 40 Stunden), 8 Teilzeit (18-34 Stunden) und 9 Aushilfen, also ziemlich genau jeweils ein Drittel. Vereinzelte Schwankungen gibt es immer mal, aber große Abweichungen von diesem Schema habe ich hier seit ein paar Jahren schon nicht mehr und ich denke, so habe ich meinen Weg hier gefunden.
Übrigens: Die Vollzeitkräfte sind im Durchschnitt schon seit 8 Jahren hier beschäftigt, der Rekordhalter seit fast 13 Jahren. Die Fluktuation findet also eher bei den Aushilfen statt, was völlig normal ist.
Aus dem Anschreiben einer Bewerberin für einen 450€-Minijob:
Ihr Stellenangebot hört sich toll an! Ich hoffe, mir hierdurch persönliche und fachliche Entwicklungsmöglichkeiten erschließen zu können. Ihre Ausrichtung und das Image in dieser Branche gefallen mir besonders gut, daher sehe ich Sie als einen sehr interessanten Arbeitgeber an. In den Medien habe ich Ihre Entwicklung schon lange verfolgt und glaube daher, auch gut ins Unternehmen zu passen.
Am Dienstag kam von einer privaten Freundin eine Anfrage per WhatsApp: Eine Bekannte von ihr würde einen Job suchen. Wegen ihres kleinen Kindes nur vormittags für ein paar Stunden in der Woche, aber das sollte ein Wiedereinstieg ins Berufsleben sein.
Perfekt, dachten wir, da wir immer Leute zum verräumen der Ware gebrauchen können. "Sag ihr, sie soll Freitag um 10 Uhr bei uns in den Laden kommen. Kurze Vorstellung und vor allem direkt mal zum Probearbeiten."
Ein paar Minuten später kam eine Antwort: "Freitag kann sie nicht, da ist ihr Geburtstag."
Häh? Ja, und? Ich denke, die sucht einen Job?! Wir quittierten das erst mal kopfschüttelnd mit einem "Okay", ohne näher darauf einzugehen. Eine knappe Stunde später kam von der Freundin doch noch die positive Antwort: "Sie kommt doch am Freitag. Ist um 10 Uhr bei euch."
Nun kam die Info, dass sie doch nicht kommen wird, da sie bei einem meiner Mitbewerber untergekommen sei. Auch gut. Mein Gefühl sagt mir, dass das nicht der Wahrheit entspricht und sie einfach nur eine Ausrede für den freien Freitag brauchte – aber das ist mir sowas von egal, das glaubt ihr gar nicht.
Im Idealfall tauchen hier im Laufe des Nachmittags noch zwei Bewerber auf, die jeweils nach einem Minijob an der Kasse gefragt haben. "Interessiert sind" wollte ich gerade erst schreiben, aber das zeigt sich ja erst, wenn sie auch wirklich hier aufschlagen.