Mit dem schnurlosen Telefon am Ohr ging ich quer durch den Laden, als mich plötzlich ein Kunde ansprach: "
Mir ist da ein Glas Honig runtergefallen."
Ich nickte, sagte leise "ist okay" und wollte gerade weitergehen, als der Kunde noch einmal lauter ein Ansinnen wiederholte und mir dabei auch die vollständingen Informationen lieferte: Genauen Ort des Geschehens und was kaputtgegangen war.
"
Kein Problem, ich mache das weg", erklärte ich, nickte dabei noch deutlich mit dem Kopf und versuchte wieder, der Anruferin zuzuhören, die mir gerade ihre Liefer- und Zahlungsbedingungen erläuterte.
Leider verstand ich in dem Moment schon gar nicht mehr, was sie sagte, denn der Kunde redete schon wieder auf mich ein. Diesmal lauter und noch eindringlicher, die Parallele
zu diesem Erlebnis fiel mir erst gerade beim Schreiben dieses Beitrags auf.
Parallel war übrigens auch mein Verhalten. Ich sag's mal so: Bin gespannt, ob der Kunde noch einmal wiederkommt. Seine Sachen hatte er eben jedenfalls noch bezahlt.
Ich saß an der Kasse, eine Kundin wollte nichts kaufen und löste lediglich einen Leergutbon in Höhe von 4,43 Euro ein. "
Können Sie mir das klein geben?", fragte sie mich plötzlich.
"
Natürlich, gerne. Wie wollen Sie es denn haben?"
"
Vor allem zwei Zwei-Euro-Stücke, der Rest ist egal."
[...]
Okay,
so kann man sein Leergut auch transportieren: Blauen Müllsack mit losen Bierflaschen (Glas) füllen und einfach hinter sich herschleifen.
Fällt jedenfalls auf.
"Hier geht's schneller!", hört man immer wieder Kunden rufen und dann zerren sie ihre Freunde oder Angehörigen von einer Kassenschlange zur nächsten. Die etwas kürzer ist. Und dann stehen sie und stehen und ärgern sich später, dass die alte Dame mit dem Rollator, die schon in der Schlange stehend ihr Kleingeld sortiert hat, schneller aus dem Laden ist als sie selber.
Was nämlich viele Leute schlichtweg vergessen: Es kommt nicht auf die Länge an. Also von der Länge der aus wartenden Kunden bestehenden Schlange, meine ich. Also gut, natürlich, zumindest wenn der Unterschied sehr groß ist, entscheidet die Länge sicherlich auch darüber, ob man früher oder doch eher später dran ist.
Aber die beiden wichtigsten Faktoren vergessen viele.
Erstens: Die anderen Kunden!
Wieviel kaufen sie ein? Wie bezahlen sie? Mehrere Großeinkäufe werden viel Zeit benötigen. Wenn also ein paar Kunden vor einem stehen, die jeweils einen randvollen Einkaufswagen haben, ist die Chance auf eine längere Wartezeit ziemlich groß. Aber Achtung: Ein Wagen kann auch gut gefüllt sein, wenn nur zwei Kisten Bier und ein paar Tüten Chips darin liegen. Und so ein Einkauf ist wiederum recht zügig abkassiert. Wenn natürlich nur ein paar Kunden vor einem stehen, die jeweils ein oder zwei Teile in der Hand halten, ist die Schlange schnell abgearbeitet. Das kommt bei mir hier zum Beispiel vor allem in den Abendstunden vor. Ein Sixpack Bier, eine Pizza, eine Schachtel Zigaretten, eine Flasche Cola, ein Brot und dann noch eine Tüte Crushed Ice – verteilt auf sechs Kunden.
Aber das Einkaufsvolumen entscheidet nicht alleine. Wie die Kunden bezahlen, ist ein ganz bedeutender zweiter Faktor. Bargeld oder ec-Karte? Einen Schein hinzulegen und nur das Wechselgeld entgegenzunehmen geht schneller, als wenn man sein Kleingeld aus Jackentaschen, Hosentaschen und Geldbörse zusammenkratzt und vorsortiert um dann festzustellen, dass es immer noch nicht reicht und ein paar Artikel stornieren lässt. Aber Kartenzahlungen sind auch kein Garant für schnelles Vorankommen: Server können ausfallen, Konten nicht gedeckt sein, PINs vergessen werden usw.
Zweitens: Die Kassiererin / Der Kassierer!
Wie erfahren ist der Mitarbeiter an der Kasse? Und wie schnell? Und wie gründlich? Und wie gesprächig? Kann man durch einfaches Beobachten herausfinden, ist aber natürlich vom Ende einer Schlange schwer zu erkennen und schon gar nicht zu vergleichen. In überschaubereren Läden, in denen man die Mitarbeiter mehr oder weniger einzeln kennenlernt, hat man da schon eher eine Chance. Aber da hilft tatsächlich nur, jedem einzelnen etwas auf die Finger zu sehen: Wie gut kennt die Kassenkraft die Artikelnummern auswendig? Wie sicher werden Artikel über den Scanner gezogen, ist bekannt, wo sich die Strichcodes auf den einzelnen Produkten befinden? Wird auf Smalltalk der Kunden ausführlich eingegangen? Wieviele Fehler werden gemacht, bzw. wieviele Artikel müssen storniert und wie oft die Kassenaufsicht gerufen werden?
Das kann man aber eben nur beurteilen, wenn man längere Zeit im selben Laden einkauft und die Mitarbeiter irgendwann gut genug kennt.
Bis dahin: Einfach an irgendeine Kassenschlange anstellen und die Zeit möglichst angenehm verbringen: Plaudern, Musik hören, Handyspiele zocken, lesen, die anderen Leute beobachten...
Irgendwie gemein, wenn einem die Kunden am Freitag Morgen schon ein schönes Wochenende wünschen. Nicht, dass ich nicht trotzdem einen angenehmen Sonntag verbringen könnte – aber immerhin habe ich hier noch zwei reelle Arbeitstage vor mir.
Aber das regt mich auch bei den Radiosendern mit den ach so lustigen Morgenshows auf: Ab Freitag Mittag ist da konsequent von Wochenende die Rede. Pöh.
Ein junger Mann stand mit einem vollen Einkaufskorb im Laden unmittelbar hinter der Schranke. Immer wieder spähte er zur Tür und wenn ein Kunde in die Nähe kam, machte der Mann mit dem roten SPAR-Körbchen Anstalten, rauszugehen.
Eigentlich wirkte er durch seine Erscheinung nicht verdächtig, aber sein Verhalten war es durchaus. Ich guckte ihm aus sicherer Entfernung zu und einige Zeit später kam auch schon ein Kunde in den Laden. Der junge Mann stellte den Korb schnell ab, huschte raus, blieb auf dem Gehweg unmittelbar vor dem Laden stehen und zückte sein Handy. Nachdem er zuende telefoniert hatte, kam er wieder rein und setzte seinen Einkauf fort.
Ohmann, der wollte nur besseren Empfang haben.
Ein bisschen tat er mir ja Leid, weil ich ihm sowas Böses unterstellt habe. Aber er hat sich nunmal unbewusst und natürlich vollkommen unbeabsichtigt absolut perfekt in das Raster von Leuten eingefügt, die exakt auf diese Weise schon schwere Ladendiebstähle begangen haben.
Aber er weiß ja nicht, was ich gedacht habe.
Manchmal möchte man die Leute schlagen. "Erst denken, dann handeln!" – das habe ich schon als kleines Kind gelernt. Manche Leute handeln einfach nur und streichen den anderen Teil einfach gänzlich. Anders kann ich mir sowas nicht erklären:
Einem Kunden oder einer Kundin ist ein Glas Honig zerbrochen. Möglicherweise ist es nur aus geringer Höhe gefallen, denn es war nur der Boden des Glases herausgebrochen. War ja echt nett, das Ding dann nicht einfach auf dem Boden liegenzulassen, sondern es wieder in das Regal zu stellen, damit niemand darüber stolpert.
Aber WARUM stellt man das dann nicht überkopf hin, sondern legt es auf die Seite?!? Das ist doch irgendwie logisch, dass der ganze Honig ausläuft. Und der läuft wirklich überall hin: Unter die anderen Gläser, zwischen die Regalböden, in die Kunststoffschiene mit den Preisetiketten – einfach in jede Ritze.
Ein Kunde rief an und bat mich darum, einem Freund vom ihm, der gerade hier bei mir im Laden einkaufen würde, etwas mitzuteilen.
Klar, kein Problem. "Woran erkenne ich Ihren Bekannten denn?"
Antwort: "So ein langer, dünner. Sieht ziemlich fertig aus, mit etwas spackingen Klamotten. Und hat eine gelbe Umhängetasche dabei."
Ich war gerade in einer wichtigen Besprechung mit meinem Steuerberater, als einer meiner Mitarbeiter anklopfte: "Da ist eine, die dich sprechen will."
Ich schickte ihn wieder zurück, um die Frau zu fragen, was sie von mir möchte. Als meine Kollege zurückkam, hatte er mir nur zu berichten, dass sie mir das gerne persönlich sagen würde.
Sowas kann ich ja gar nicht ab. Keine Information einer fremden Person kann so wichtig sein, dass man sie mir ausdrücklich persönlich überbringen muss.
Dieses hier ist mit Sicherheit nicht die aufregendste und schon gar nicht die längste Geschichte alle Zeiten– aber ganz gewiss eine der merkwürdigsten:
Eine Stammkundin und ihr Mann betraten den Laden und kamen direkt auf mich zu. "
War ich gestern hier im Laden, als meine Frau auch hier war?", wollte der Mann wissen. Keine Ahnung, ich merke mir doch nicht alles. Nach langer vergeblicher Bettelei, die Videoaufzeichung vom fraglichen Zeitraum ansehen zu dürfen, bot ich an, dies alleine zu tun und zu berichten.
Ich sah und berichtete:
Die Frau kam in den Laden, ging durch einige Gänge und stand schließlich in der Getränkeabteilung eine Weile hinter einem großen Kistenstapel und überlegte, welches Bier sie kaufen soll. Zwischenzeitlich war ihr Mann in den Laden gekommen. Er suchte alle Gänge ab, warf einen Blick in die Getränkeabteilung (aber eben nicht in den Bereich, der durch eben jenen Kistenstapel verdeckt wurde) und ging schließlich an der linken Seite der Kasse vorbei zum Ausgang. Inzwischen war die Frau von rechts an die Kasse gekommen und stellte sich an das Ende der Schlange, welche die Sicht auf ihren Mann, der auf der Seite gerade herausging, behinderte.
Zu Hause kam es dann zum großen Krach: Er wollte sie von der Arbeit abholen und wusste, dass sie noch etwas einkaufen wollte – und sie war nicht da. Die Situation schien so weit eskaliert zu sein, dass die beiden vollkommen aufgeregt hier hereinkamen.
Nachdem ich erklärt hatte, was wirklich passiert war, entschuldigte er sich so sehr bei ihr, wie ich es selten erlebt habe.
Da sie beide Hände voll hatte, steckte sich eine Kundin ihren Leergutbon in den Mund und hielt ihn mit den Lippen fest. Von mir bekam sie noch einen zweiten, manuell an der Leergutkasse ausgestellten Bon, da sie auch ein paar Flaschen dabei hatte, die der Automat nicht generell annehmen soll. Normalerweise überreiche ich die Bons mit einem "Bitteschön.", meistens unter Nennung der Summe.
Ich konnte mir jedenfalls gerade noch verkneifen, der Frau einen "Guten Appetit" zu wünschen. Schade eigentlich, das Gesicht hätte ich gerne gesehen.
Bis etwa neun Uhr kaufen die meisten Kunden nur ein paar Kleinigkeiten für ihr Frühstück ein. Entweder nur eine Zeitung und ein paar Kleinigkeiten für sich selber – oder aber auch größere Einkäufe für das Frühstück im Büro. Die wenigsten Kunden brauchen für diese Artikel einen Kassenbon. Aus Gewohnheit lege ich ihn immer unaufgefordert mit dem Wechselgeld hin und wenn ein Kunde ihn nicht will, bleibt er eben liegen und wird von mir weggeworfen.
Dann waren da eben diese beiden, leicht angetrunken wirkenden Männer, die insgesamt vier Flaschen Bier kauften. Sie bezahlten, wir verabschiedeten uns, den Bon ließ ich an der Kasse hängen und während ich mich schon dem nächsten Kunden zuwenden wollte, verlangten die beiden doch tatsächlich noch nach ihrem Kassenbon.
So kann man sich täuschen...
Annähernd den kompletten Sonntag habe ich in der Firma verbracht. Es sind viele Dinge liegengeblieben, die ich einfach mal in Ruhe abarbeiten wollte.
Erstaunlich, wie ungaublich viele Leute entweder denken, dass wir hier auch an Sonntagen geöffnet haben oder gar nicht mitbekommen haben, dass die Läden an diesem Tag mehr oder weniger allgemein geschlossen sind.
Etwa im Fünf-Minuten-Takt standen Leute vor der Tür und haben erstaunt die Schilder gelesen, an den Türgriffen gerüttelt, die Hände um die Augen gelegt und ins Dunkel geguckt und sind dann wieder frustriert abgehauen.
Das Phänomen dürfte aber nichts mit meinen (inzwischen auch schon gar nicht mehr so neuerdings) geänderten Öffnungszeiten zu tun haben. Sonntags war hier nunmal schon immer zu.
Ich bin eigentlich kein typischer "Morgenmuffel". Entweder bin ich morgens noch müde, gängele so vor mich hin und will in Ruhe gelassen werden oder ich habe morgens um 5 Uhr schon blendend gute Laune, mit der ich schon häufiger meine Kollegen erschreckt habe. Meistens bin ich gut drauf, außer ich bin extrem müde. Aber natürlich habe ich Verständnis dafür, wenn andere Leute diesen morgendlichen Elan nicht teilen können.
Was ich aber überhaupt nicht abkann, ist, wenn Leute einen komplett ignorieren und auf ein freundliches "guten Morgen" überhaupt keine Regung zeigen. Ich erwarte ja nicht, dass sie sich morgens (oder überhaupt, egal wann...) auf ein langes Gespräch einlassen. Aber ein kleines "Moin" oder vielleicht wenigstens ein Kopfnicken,
irgendeine Reaktion, ist doch wohl das Mindestmaß der Höflichkeit.
Wer das Gefühl hat, dass ich doch relativ häufig das aktuelle Geschehen beim Fußball hier mit einbringe, hat nicht ganz unrecht: Immerhin beeinflussen wichtige Fußballspiele durchaus auch das Kaufverhalten der Kunden, gerade auch im Hinblick auf Knabberartikel und alkoholhaltige Getränke.
Das 1:0 für Serbien hat auch seine Spuren hinterlassen: Die Kunden hier im Laden macht beinahe durchgängig traurige Gesichter (Hey, das ist nur ein Spiel. Und außerdem ist noch gar nicht alles verloren...) und eine Kollegin kommentierte die Schlange vor dem Leergutautomaten gerade folgendermaßen: "
Wenn man die Leute sieht könnte man auf die Idee kommen, die haben gerade alle ihre Autos zu Schrott gefahren. Oder 100.000 Euro in der Börse verzockt. Oder denen hat die Katze auf den Teppich gepisst..."
Ich glaube, ich bleibe für den Rest des Tages im Büro.