Betteln: 1 Stunde

Unser Laden hier ist ja schon immer ein echter Treffpunkt für alle Gesellschaftsschichten gewesen. Also wirklich alle. Und während andere Supermärkte einen Parkplatz vor der Tür haben, haben wir … naja, Dauergäste.

Zum Beispiel den Mann im Rollstuhl, den ich hier schon einmal erwähnt hatte. Ab und zu gesellen sich auch noch ein paar andere abgewrackte Gestalten zu ihm und dann wird gesoffen und gepöbelt und vor allem der Gehweg blockiert. Wenn die neben unserer Eingangstür stehen, bleibt uns nichts anderes übrig, als das so hinzunehmen, denn der Gehweg ist öffentlicher Grund und wir können niemandem verbieten oder erlauben da irgendetwas zu tun. Aber neben unserer Tür stört der Trupp ja auch meistens gar nicht.

Mitunter diffundieren die aber langsam immer weiter in Richtung Eingang. Da steht der Mülleimer, da zieht (im Winter) auch mal ein warmer Luftstrom aus dem Laden, ich kann die Beweggründe ("Beweg-Gründe" im wahrsten Sinne des Wortes) durchaus verstehen. Nur ist es dann nicht nur für die allgemeinen Passanten ärgerlich, sondern vor allem auch für unsere Kunden. Die müssen dann mitunter regelrecht um Durchlass bitten oder sich aktiv anbetteln oder anderweitig ansprechen lassen. Da sagen wir dann durchaus mal was und fordern die Gang auf, ein paar Meter weiter zu gehen. Abgesehen von derartigen gelegentlichen Ärgernissen gehört das zeitweise (und vor allem abendliche) Gelage vor der Tür also wohl inzwischen zum Erscheinungsbild dieser Gegend.

Neuerdings hat der Mann im Rollstuhl aber wohl das Mindset, dass das hier sein Revier ist, das es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. Vorletzte Woche war ein anderer Mann plötzlich hier aufgetaucht, den ich noch nie gesehen hatte. Obdachlos oder BTM-Konsument (oder auch beides) stand er plötzlich mit etwas Abstand zum Eingang still neben den Fahrradständern und hat seinen Becher für Spenden vor sich in der Hand gehalten.
Der Rollifahrer sah wohl seine Felle schwimmen und hatte den Neuling zu nächst mehr oder weniger leise zum Gehen aufgefordert, dann hat er ihn regelrecht angeschrien und daraufhin, ihr dürft euch das jetzt gerne bildlich vorstellen, ist er ihm immer wieder mit seinem Rollstuhl gegen die Beine gefahren, was mich unweigerlich an die letzten Sekunden vom alten Pixar-Kurzfilm "Knick Knack" erinnerte. Dann haben die sich gegenseitig angeschrien, ein Dritter mischte sich noch mit ein und nachdem ich schließlich angedroht hatte, die Polizei zu rufen, gingen zwei der drei Männer schließlich weg.

Aufgrund dieser neuen Begebenheiten und gehäufter Kundenbeschwerden, werden wir jetzt doch intensiv gegen die Leute vor der Tür vorgehen. Eigentlich habe ich prinzipiell nichts gegen diese Leute, den Rollstuhlfahrer haben wir sogar schon im Winter einfach schlafen lassen, wenn er sich hier im Markt aufwärmen wollte und dabei eingeschlafen war. Aber das da vorne ist momentan einfach zu viel.
Ein befreundeter Polizist erklärte mir, dass sowieso nur eine Stunde Betteln geduldet werden muss, dann kann man die Leute wegschicken, notfalls würden sie einen Platzverweis bekommen. Aufdringliches Betteln sei ohnehin verboten, da könnte man sofort die Polizei rufen.
Wir können natürlich nicht immer über die Aktivitäten vor der Tür Buch führen, wer wann kommt oder geht (ein Kollege witzelte schon, dass ich denen ja eine Stempelkarte für unser Zeiterfassungssystem ausstellen kann), aber um da durchgreifen zu können, sollten wir den Bereich halbwegs regelmäßig im Blick behalten und dann nach einer Stunde eine zunächst freundliche Ansage machen.

Kunden Anschnorren --> Hausverbot

Dieser Typ war wieder im Laden. Kam rein, hat eine Frau angesprochen, sie gab ihm Geld und er verließ das Geschäft wieder.

Ich hütete mich davor, diese Kundin anzusprechen. Aber ihn habe ich angesprochen und ihm erklärt, dass ich das nicht gut finde und dass das auch nicht das erste Mal war, dass er hier im Laden Kunden angeschnorrt hat.

Nun hat er Hausverbot.

Verkehrte Welt

Auf dem Weg zum Kaffeeregal beobachtete ich, dass ein Mann mein Geschäft betrat, den ich aufgrund seiner Erscheinung sofort als "VP", verdächtige Person, einstufte. Ich ging unverzüglich ins Büro und beobachtete ihn über die Videoanlage. Er ging durch unterschiedliche Gänge, ohne irgendwo konkret stehenzubleiben oder bestimmte Produkte genauer anzusehen. Ich schwankte noch zwischen "unschlüssig" und "abchecken", als er plötzlich Kleingeld aus der Tasche zog und dieses nachzählte.

Innerlich atmete ich auf. Wer Geld zählt, klaut meistens dann doch nicht. In dem Moment ging er weiter und direkt auf eine Stammkundin zu, die er auch ansprach. Er hatte sie wohl um etwas Geld gebeten, da sie ihre Tasche öffnete, ihr Portemonnaie herausholte, dort irgendetwas herauskramte und ihm gab. In dem Moment war ich zwar nicht glücklich darüber, dass er hier im Laden meine Kunden anbettelt, aber immerhin hatte er wohl, was mein Geschäft betrifft, bessere Absichten, als ich ihm zunächst unterstellt hatte.

Nun würde er sich irgendetwas kaufen… dachte ich… Aber er ging einfach so aus dem Geschäft. Öööhm, das finde ich nun aber nicht so nett. Er hatte der Frau bestimmt erzählt, dass er hier von dem Geld etwas zu Essen kaufen möchte.

Ich ging direkt auf die Kundin zu und sprach sie an: "Der Mann, der Sie eben angebettelt hat…"

Sie fuhr mich in rüdem Tonfall an: "Er hat nicht gebettelt, sondern nach Geld gefragt. Und ich habe es ihm gegeben."

"Hatte er gesagt, was er damit vor hatte?"

Die Frau setzte den ruppigen Tonfall fort: "Das ist doch unwichtig. Es ist doch seine Entscheidung, was er mit dem Geld macht."

Vielen Dank für diesen giftigen Tonfall mir gegenüber. Jetzt fühlt es sich so an, als wenn ich derjenige bin, der einen Fehler gemacht hat. Hätte die von mir beobachtete Begegnung nicht ausgerechnet hier in meinem Geschäft stattgefunden, hätte ich ohnehin nichts gesagt. Aber ich bin natürlich bemüht, das Einkaufserlebnis meiner Kunden nicht durch irgendwelche Belästigungen durch Dritte trüben zu lassen und wollte nur zeigen, dass ich mich darum aktiv kümmere.

Hat Krebs. Eventuell.

Eine Frau, die wir nicht als Kundin kannten, betrat den Laden. Sie ging direkt zu einer Mitarbeiterin und sagte ihr, dass sie den Chef sprechen wolle. Da unbekannte Anliegen nicht einfach zu mir durchgestellt werden, erkundigte sich meine Angestellte zunächst nach dem Grund für ihren Besuch hier.

Die Frau erzählte, dass sie Krebs hätte und zu irgendwelchen heilenden Quellen in Frankreich reisen wolle und dafür auf Spenden angewiesen sei.