Ein Kunde quälte sich mit einem kleinen Knotenbeutel herum, der sich nicht auseinanderfalten ließ. Mit trockenen Händen ist das mitunter auch wirklich mühsam.
Eine Kundin stand in seiner unmittelbaren Nähe und bekam mit, wie er sich mit der Tüte quälte und fragte ihn, ob sie ihm helfen könne.
Seine Antwort: "Danke. Ich ärgere mich gerne alleine herum …"
Ich staune immer wieder darüber, wie sehr die Leute offenbar bezüglich des Themas "Kundenservice" entwöhnt worden sind. Aber jahrzehntelang von Kunden Abstand zu halten (damit meine ich nicht speziell wegen Corona) und Anfragen mit "da hinten, zweiter Gang rechts" zu beantworten, hat wohl geprägt.
Wir sind ja, versuchen es zumindest, tendenziell eher aufmerksam. Alle (neuen) Kollegen werden darauf geeicht, offenbar suchenden Kunden mit einer freundlichen Ansprache Hilfe anzubieten. Man muss sich ja nicht jedem an den Hals werfen, aber wenn jemand offensichtlich etwas sucht, kann man ja mal freundlich fragen. "Offensichtliches Suchen" erkennt man zum Beispiel daran, dass jemand nach und nach von Gang zu Gang die Regale sondiert.
Unsere Stammkunden kennen uns natürlich und auch bei den meisten anderen kommt das gut an. Aber es ist doch schon erstaunlich, wie oft man angeguckt wird, als wenn man von einem anderen Planeten dazugezogen wäre. "Kann ich Ihnen helfen?" oder "Suchen Sie etwas Bestimmtes?" bringt viele Leute dazu, in komatöses Schweigen zu verfallen, einen sekundenlang anzugucken und dann ohne einen weiter zu beachten den eigenen Einkauf fortzusetzen.
Ich gebe zu, das Phänomen ist häufiger geworden, seit mehr Leute sich auch im Supermarkt mit kabellosen In-Ear-Kopfhörern die Ohren zudröhnen. Aber es passiert auch oft genug bei Kunden ohne eigene Musikberieselung …
Als mir meine Kleine Mitte Februar einen Tag im Laden geholfen hatte, war noch mehr Material entstanden, das ich euch nicht vorenthalten möchte. So hatte sie zum Beispiel von einem Rolli die Stretchfolie heruntergerissen, mit der die Behälter eingewickelt sind. Das ging zunächst auch noch ganz hervorragend. Ist die Folie noch als flache Bahn vorhanden, ist das nämlich gar kein Problem, das Material reißt dann sehr leicht ein.
Aber wenn man daran zieht und sich die Stretchfolie in lange, dünne Stränge verwandelt, kann selbst ein starker Mann sie nicht mehr einfach durchreißen. Das war dann für meine Tochter der erste Dämpfer des Tages. Sie war so enttäuscht, dass sie nicht alleine die Folie von dem Rolli schälen konnte, dass ihr sogar ein paar Tränen herunterliefen. Sie wollte das doch alleine machen. Aber mit einem Messer ging es dann.
Meine Kleine wollte mich mal wieder zur Arbeit begleiten, immerhin findet Schule momentan nicht täglich statt, und irgendwann fällt einem einfach die Decke auf den Kopf. Sonstige Freizeitaktivitäten, Freunde treffen etc. kann man momentan ja auch vergessen und so hat sie mit mir einen vollen Arbeitstag hier in der Firma verbracht. Erstaunlich, dass sie hier 11 Stunden (!) durchgehalten hat, aber sie war kaum zu bremsen.
(Es gibt auch noch zwei Videos von dem Tag, aber das dauert noch etwas.)
Das helfende Kundenkind war wieder fleißig, jedoch ist gut gemeint bekanntlich nicht immer gut. Nicht jeder leere Karton wird nicht mehr benötigt und wenn der Junge dann auch die Vorschubsysteme aus den Gewürzregalen zieht, sogar mit Ware, wie auf dem Bild zu erkennen ist, ist es keine Hilfe mehr, sondern eher ärgerlich.
Aber natürlich wollen wir den Kleinen in seinem Eifer auch nicht vor den Kopf stoßen und so hat eine Kollegin mal vorsichtig mit der Mutter gesprochen, damit diese ihren Nachwuchs beim nächsten Einkauf vorsichtig im Zaum hält.
Eine Mutter war vorhin mit ihrem Sohn einkaufen. Der Junge war wohl maximal im frühen Grundschulalter, aber mit vollem Eifer betätigte er sich hier als Helfer im Laden. Er suchte alles zusammen, was er an leeren Kartons und Getränkekisten finden konnte und hat das alles in einem Einkaufswagen gesammelt und schließlich an die Lagertür gefahren.
Der hat bestimmt noch eine ganz große Karriere im Einzelhandel vor sich.
Ein etwas heruntergekommener Typ meinte an der Kasse, dass er kein Geld hätte, wir ihm aber die Getränke so geben müssten. Er wäre am verdursten und das wäre von uns unterlassene Hilfeleistung.
In den Händen hielt er eine Müllermilch und eine Dose Prosecco, weshalb sich sein kleines Drohszenario nicht zur vollen Ernsthaftigkeit entwickeln wollte.
Die Kollegen hätten ihm mal ein Glas Wasser anbieten sollen.
Ein etwas älterer Mann wirkte so, als wenn er etwas suchen würde. Er ging durch mehrere Gänge und blickte dabei immer in die Fachböden der Regale. Da ich gerade in der Nähe stand, erkundigte ich mich, ob ich ihm helfen könne.
Er winkte ab, bedankte sich und sprach: "Danke, nein, ich such' nur meine Frau."
Beim kurzen, eher zufälligen Blick auf den Bildschirm der Videoanlage sah ich, wie in genau dem Moment ein Mann seinen schnellen Gang stoppte und zwischen zwei Regalen stehenblieb. Dann hob er langsam seine beiden Arme, die seitlich am Körper herunter hingen, ein Stück in die Höhe, hielt sie dort eine Sekunde und ließ sie schwer wieder nach unten fallen.
Das war für mich ein eindeutiges Zeichen: Der Mann suchte etwas und konnte sich nicht vorstellen, dass wir es nicht haben. Nur wo? In seiner Geste spiegelte sich zweifelsfrei sein Erstaunen darüber wieder.
Umso erfreuter war er dann, als ich als Mitarbeiter des Ladens erkennbar zu ihm kam und ihn fragte, ob ich ihm bei seiner Suche helfen könne.
Ein Junge im frühen Teeniealter kaufte ein. Irgendwann sprach er eine meiner Mitarbeiterinnen hier im Markt an: "Können Sie mir helfen? Ich hab' hier eine Einkaufsliste. Da steht noch "was schönes für Mama" und ich habe keine Ahnung, was das sein soll."
So eine Frage ist natürlich wirklich schwer zu beantworten, vor allem bei Dritten.
"Mag sie Schokolade?"
"Nein, eher nicht so."
"Dann bring ihr Blumen mit, die mögen fast alle Frauen."
Und so wechselte dann auch ein Strauß Tulpen den Eigentümer.
Auf einen der Kühlcontainer, die wir mit Fleisch und Tiefkühlkost gefüllt von unserer Großhandlung bekommen, hat irgendwann mal jemand mit einem Edding "Help me" geschrieben. Hoffentlich kein Hinweis darauf, dass da mal jemand eingesperrt war.
Nachtrag: Als ich dieses Foto gemacht und den dazugehörigen Beitrag geschrieben hatte, wusste ich noch nichts von den Ereignissen in Essex. Ist jetzt etwas unglücklich gelaufen, aber daran hat niemand Schuld und dahinter steckte auch keine bewusste Pietätlosigkeit oder Provokation.
Eine Kundin sprach mich an und wollte wissen, wo denn jetzt die Marmelade stehen würde. Wir hätten hier ja alles umgebaut und sie findet deswegen kaum noch was wieder.
"Das ist inzwischen aber nicht mehr ganz neu", entgegnete ich, während ich sie wie üblich zum Regal mit der gewünschten Ware führte.
Ich staune ja selber immer wieder, wie schnell die Zeit vergeht. Das wird bei anderen Leuten und ihrer subjektiven Wahrnehmung darüber vermutlich nicht wesentlich anders sein. Bestes Beispiel war nun diese ältere Kundin, die Marmelade suchte und mir nun antwortete: "Ich war auch schon ein paar Wochen nicht mehr hier."
Mir fiel auf, dass ein Kunde, den ich auf maximal Mitte dreißig geschätzt habe, die Beschriftungen auf einzelnen Verpackungen offenbar nur mit einer Lupe erkennen konnte. Das wirkte auf mich sehr mühsam, so dass ich sogar schon auf eine erhebliche Sehschwäche tippen würde.
Hilfe anbieten oder nicht? Ich haderte eine Weile. Er macht das mit der Lupe so heimlich, als wäre es ihm unangenehm. Vielleicht lieber nicht ansprechen, wenn er sich dafür geniert? Ginge so eine Ansprache etwas zu weit? Aber andererseits ist das doch auch ein Teil unseres Jobs, Kunden zu helfen.
Ich entschloss mich schließlich, zu ihm zu gehen und zu fragen. Da stand er aber bereits an der Kasse und zwischen den anderen Kunden wollte ich ihn dann auch nicht auf eventuelle körperliche Gebrechen ansprechen.
Aber wenn er mir wieder auffällt, werde ich nicht zögern.
Ein junger Mann in den Zwanzigern ging eine Weile durch den ganzen Laden. Offenbar suchte er etwas, denn er schritt fast jeden Gang ab. Durch die Konserven, am Kaffee vorbei, Drogerie, Getränke, zurück zu den Fertiggerichten – aber das Gewünschte schien sich hartnäckig vor ihm zu verstecken.
Meine erste Anfrage hatte er ignoriert oder nicht richtig mitbekommen, also versuchte ich es noch einmal mit der Frage, ob er etwas bestimmtes suchen würde und ob ich ihm helfen könne.
Butter. Er suchte Butter.
Hinterfragt habe ich es nicht, aber interessieren würde es mich eigentlich schon: Wer kauft Butter ohne zu wissen, dass die gekühlt werden muss? Natürlich ist das nicht zwingend eine Grundkenntnis für's Überleben – aber erstaunt hat es mich schon.