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Hellgrün und faustdick hinter den Ohren

Ein etwa achtjähriger Junge gab Leergut an unserem Automaten ab. Ich hatte ihn auf der Videoanlage aus dem Augenwinkel dabei beobachtet, denn er war nicht nur "etwas zappelig" sondern ein Klischee-ADHS-Kind. Ständig in Bewegung und ständig an irgendwas am herumfummeln. Zum Schluss krabbelte er noch fast in den Kistenschacht des Automaten hinein.

Nachdem er fertig war, fummelte und drehte er am Griff des Flummiautomaten herum, den er zwischendurch längst entdeckt hatte. Ohne Münzeinwurf passierte aber nicht viel und so ging er weg – um nur fünf Sekunden später wieder zum Flummiautomaten zu gehen und zu versuchen, den (abgeschlossenen) Deckel zu öffnen. Klappte aber nicht, da das Schloss im Deckel genau solche Zugriffe verhindern soll. Der Junge verließ den Leergutraum.

Eine knappe Minute später kam er mit einem meiner Mitarbeiter nach hinten. Dieser kam zu mir ins Büro und erklärte mir, dass da ein Junge Geld in den Automaten gesteckt habe, aber dennoch kein Flummi rauskam. Ob ich mal gucken könnte.

"Häh?!", dachte ich. Fettgedruckt und unterstrichen (nicht klickbar). Wenn ich nicht im falschen Moment geblinzelt habe, hat der Kleine da ganz sicher kein Geld reingeworfen. Ich ging zu ihm hin, um die Sache zu klären.

"Was ist passiert?", fragte ich ihn.

"Der Automat hat meine 50 Cent geschluckt", sagte er ohne mit der Wimper zu zucken.

"Warte kurz", antwortete ich und guckte mir die Videoaufzeichnung an. Leergut, Leergutbon, Kistenschacht, am Griff fummeln, weggehen, am Deckel fummeln, weggehen, mit dem Kollegen wiederkommen. Kein Geld reingesteckt.

Ich ging wieder das Treppchen runter und fragte den Jungen noch einmal: "So, jetzt noch mal ganz von vorne. Was genau ist passiert?"

Der Junge wiederholte, dass der Automat "seine 50 Cent" geschluckt hätte und blieb auch bei der Aussage, als ich ihm sagte, dass mir das nicht so vorgekommen sei. "Wenn ich jetzt deine Mutter herbestellen und ihr unsere Videoaufzeichnung zeigen würde", bei diesen Worten deutete ich mit dem linken Zeigefinger auf die Kamera in der Ecke über dem Leergutautomaten, "was würden wir dann sehen?"

"Dass ich Geld reingesteckt habe."

Okay, noch ein Versuch …

"Hast du das gemacht, bevor oder nachdem du Leergut abgegeben hast?", wollte ich noch wissen. Nicht, dass wir aneinander vorbei reden und ich den Kleinen um sein Geld, bzw. den erwünschten Flummi bringe. "Danach", antwortete er. Ich bat ihn darum, noch einmal kurz zu warten und ging mit meinem Mitarbeiter zurück ins Büro. Mit insgesamt vier Augen sahen wir uns seinen kompletten Aufenthalt hier beim Leergutautomaten an, Leergut, Leergutbon, Kistenschacht, am Griff fummeln, weggehen, am Deckel fummeln, weggehen, mit dem Kollegen wiederkommen – und waren hinterher 100% sicher, dass er kein Geld, wirklich definitiv kein Geld, nichts, nada, nothing, rien, einfach absolut nix in den Automaten gesteckt hatte.

"Na, das wollen wir doch mal gucken, was seine Mutter dazu sagt", meinte ich zu meinem Mitarbeiter und wir gingen zum Flummiautomaten, wo der Junge wartete. Verzeihung, anfänglich gewartet hatte. Inzwischen stand er an der Kasse und wollte seinen Leergutbon einlösen.

"Wo ist denn jetzt deine Mutter?", fragte ich ihn und er zeigte durch das Schaufenster auf den Gehweg, wo eine Frau mit Kinderwagen stand. Ich ging zu ihr hin, der Junge folgte mir und nachdem sie überrascht gefragt hatte, was los sei, meinte ich zu ihr, dass ihr Sohn versuchen würde, uns zu verarschen.

"Das stimmt überhaupt nicht!", protestierte dieser.

"Natürlich stimmt das", erklärte ich und blickte zu seiner Mutter, "er behauptet, Geld in den Flummiautomat gesteckt und keinen Flummi bekommen zu haben und fordert das Geld von uns nun zurück."

"Habe ich ja auch."

Ich staunte, dass er jetzt immer noch an dieser Lüge festhielt. "Pass mal auf, wir haben das mit zwei Leuten auf dem Video gesehen. Wir sind doch nicht blöd."

"Vielleicht ist die Kamera ja blöd", konterte er.

(Boah, was für eine unerträgliche Mistmade …)

Netterweise klinkte sich die Mutter mit ein und fuhr in an: "Welches Geld denn überhaupt? Du hast doch gar kein Geld dabei gehabt?!" "Mein Taschengeld", antwortete er, aber seine Mutter glaubte ihm wohl ebenfalls nicht und verwies auf das zu Hause folgende Gespräch mit dem Papa.

"Klären Sie das einfach mit ihm, ich bin hier jetzt raus", sagte ich und ging wieder zurück in dem Markt und musste mich mal eben beim Schreiben dieser Zeilen abreagieren.

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Kommentare

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Kameramann am :

Hat deine VGA Kamera mit mehr als 1 Bild pro Minute aufgenommen oder war es noch eine Quelle für einen Kinematographen?

z. B. John Doe am :

Rechtsinstitut (auch Rechtseinrichtung und Rechtsfigur) bezeichnet die Summe der Rechtsgrundsätze, die durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Rechtswissenschaft zur rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Lebenssachverhalts entwickelt worden sind.

TOMRA am :

Hellgrün wie Hulk light?

Nobody am :

Alles richtig gemacht… hätte den Jungen inkl. Mutter vielleicht noch zusammen die Aufzeichnung gucken lassen, damit das Lügenkonstrukt vor seinen Augen zusammenbricht. Kinder erproben halt wie das mit dem lügen funktioniert. Und wie wir alle wissen tut das jeder zig mal am Tag, mehr oder auch weniger bewusst. Man muss aber die Grenze kennen zu einer Lüge die von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert wird. Und das wird eben auch ausgetestet. Um so besser das er nicht einfach damit durchgekommen ist, denn das wäre die Belohnung das lügen was profitables ist.

Ich am :

Eine durchaus antiquirte wie auch aufwandsarme Herangehensweise.
Hammer drauf, damits ja nicht groß wird, nech?
Hauptsache man muss sich nicht mit irgendwas auseinandersetzen.

https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/warum-kinder-luegen-muessen/

Nobody am :

Hast du meinen Text gelesen und verstanden? Ich sage nichts anderes als in deinem Link steht. Ich hege keinen Groll gegen Kinder die lügen, geschweige denn das ich ihnen was Böses will oder eine Strafe.

Ich am :

Hast du meinen Text gelesen und verstanden?

Wenn deine Auseinandersetzung im. Bloßstellen des Kindes besteht, na dann.

Hier hat nicht das Kind versagt, das ist nur der oberflächliche Glanz dessen, was das Kind erlebt.

Ich bins nur am :

Stimmt schon, der hätte instantan mit sozialpädagogische Unterstützung einen stuhlkreis bilden müssen anstatt dieser armen Seele soviel Unrecht anzutun.

Jemand am :

Wow, spielen wir Bullshitbingo?

Nobody am :

Ja und ja. Ich bin mir nur nicht sicher ob du deinen Link gelesen hast… der sagt nichts anderes als das was ich schreibe. Und es geht hier nicht um ein bloßstellen oder Versagen, es geht darum zu erfahren das lügen Konsequenzen haben können. In dem Fall das klärende Gespräch mit Mama und Papa. Und natürlich auch das nur durch konsequentes sagen/behaupten die Aussage nicht an Wahrheitsgehalt gewinnt. Hier wäre die Chance gewesen dem Kind sein eigenes handeln aus Perspektive eines Dritten, der Kamera, vor Augen zu führen.

Ich am :

Björn weiss dass er gelogen hst. Seine Mutter weiss es und dem Jungen dämmerts wohl auch.
Ihn jetzt nochmal vorzuführen findest du pädagogisch angebracht?
Na Gott sei Dank kriegt er daheim vom Vater nochmal ne Lehrstunde die sich gewaschen hat, dann passiert das nicht nochmal, richtig?

Nee, du hast den Artikel nicht verstanden.
Das Problem ist, dass ich und wohl auch du so erzogen wurdest. Pädagogik von vor 100Jahren. Hat ja keinem geschadet, oder?

Ich bin dann mal raus.

ShadowAngel am :

Wer unironisch die linksversifften Quarktaschen verlinkt und als "Argument" nutzt, kann sich eigentlich direkt verabschieden, denn sehr viel lächerlicher kann man sich nicht mehr machen.

Und Lügner/Kriminelle zu verteidigen, egal welches Alter, ist schon wirklich armselig.

Mokantin am :

Erinnerungen sind subjektiv. Es ist durchaus möglich, dass der Junge der festen Überzeugung ist, sas Geld dort reingesteckt zu haben. Mit Lügen (also bewusst die Unwahrheit sagen) muss das absolut gar nichts zu tun haben.

https://www.dasgehirn.info/aktuell/frage-an-das-gehirn/wie-verlaesslich-sind-erinnerungen

Stefan G. am :

"Erinnerungen sind subjektiv."

Aber auch in diesem Fall ist es hilfreich, die Grenze aufzuzeigen, an der die Subjektivität mit der Realität kollidiert...

Wie sollen Kindern lernen, wenn Sie nie Grenzen erfahren?

Mokantin am :

Die einzig mögliche Erkenntnis wäre ja "Meine Erinnerungen können mich trügen".

Ich zweifle ob diese Erkenntnis mit 8 Jahren schon möglich ist. Ganz besonders, weil viele Erwachsene (die meisten?) ja auch von der Unfehlbarkeit ihrer eigenen Erinnerungen überzeugt sind.

Ich hätte ihm aber die Videoaufzeichnung einfach gezeigt.

Stefan G. am :

"Die einzig mögliche Erkenntnis wäre ja "Meine Erinnerungen können mich trügen". "

Eben. Schon was gelernt ;-)

John Doe am :

Und wieder einen Kunden von morgen erfolgreich ferngehalten, auf Umsatz verzichtet.. hätte man nicht kulant und freundlich sein können, dem Kind was schenken, ein positives Einkaufserlebnis bescheren ?

Nein der Krämer pocht auf die kapitalistische Maximierung von seinem Vermögen

Marvin am :

Du willst das Kind also bestärken und ihn bestätigen, dass er mit Lügen weiterkommt? Du hast selber keine Kinder, oder?

ShadowAngel am :

Du fändest es also gut, wenn man Kinder für ihre Lügen auch noch belohnt? So etwas weltfremdes, lächerliches kann nur von einem Grünenwähler kommen

Supernanny am :

Meine Güte, welch ein Affentheater, dafür so ein Fass aufzumachen!

Raoul am :

"Vielleicht ist die Kamera ja blöd"

Da wär‘s mit meiner Seriosität vorbei gewesen, der Satz ist einfach zu lustig. Aus der Rubrik ‚Wenn man nicht mehr weiter weiß, aber doch gerne noch etwas sagen möchte.‘

Aber ich bezweifle nicht, daß er die Kamera tatsächlich blöd fand.

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