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Quasi "Volksentscheid XXL"

Seit einer Weile geistert mir eine Idee im Kopf herum, mit der Politik in Deutschland bürgernäher gestaltet werden könnte. Ich freue mich bei Wahlen, egal ob Kommunal-, Landtags- oder Bundestagwahl, schon lange nicht mehr darüber, endlich mit meiner Stimme etwas hier im Land verändern zu können.

Mein Hauptproblem ist, dass man bei eigentlich jeder Partei immer nur eine Ideologie in einem Gesamtpaket bekommt. Man wählt immer etwas mit, das einem nicht gefällt. Natürlich kann man von Partei zu Partei abwägen, was einem wichtiger ist, aber wenn einem ein Punkt zwar sehr viel bedeutet, man aber vom Rest des jeweiligen Parteiprogramms das Gruseln bekommt, ist diese Partei für mich zumindest unwählbar.

Da kam mir vor einer Weile die Idee, dass man das Wahlsystem komplett umgestalten müsste. Nicht falsch verstehen: Es muss demokratisch bleiben und es darf auch nicht passieren können, dass irgendwelche Idioten die politische Allmacht an sich reißen können.
Aber: Nicht einzelne Parteien sollten zur Wahl stehen, sondern die einzelnen Punkte, die aktuell zur Diskussion stehen. Ähnlich wie beim Wahl-O-Mat, nur eben in Verbindlich. Quasi ein multipler Volksentscheid. Da stehen dann eben 50 Thesen auf der Liste und was die Mehrheit an Stimmen bekommt, wird umgesetzt. Ganz einfach. Ganz einfach wäre es dann allerdings dann mit der Wahl als solche vermutlich nicht mehr. "Mal eben" mit dem Stimmzettel in die Kabine und ein oder zwei Kreuzchen machen ist dann nicht mehr. Das braucht so seine Zeit und ist damit nicht wirklich praktikabel. Und wie das dann hinterher umgesetzt werden könnte, bzw. wer für diese Umsetzung verantwortlich ist, weiß ich auch noch nicht. Aber ich werde weiter darüber nachdenken.

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Kommentare

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Arno Nym am :

Klingt vom Konzept her ähnlich wie https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCssige_Demokratie was die Piratenpartei mal vorangetrieben hatte.

Roland am Donnerstag am :

Klingt erstmal interessant, aber ... in der Politik geht's überwiegend um Verteilungskämpfe, fast immer um das liebe Geld. Und da, fürchte ich, gibt's Rosinenpickerei. Es geht ja nicht nur darum, ob man 'ne Millionen in Straßenbau vor deiner Haustür, in das Dach der nächsten Schule oder die Sozialwohnungen am Ende der Stadt ... und wer entscheidet über die nächsten 10.000 kleinen Haushaltsposten, die's nicht auf die Top 50 geschafft haben?
Hättest du als Politiker Lust, dass bei einem Etat von x Millionen Euro 95% feste Ausgaben sind (Gehälter, ....) und dann von den letzten 5% noch 90% durch's Volk bestimmt wird, d.h. du letztendlich noch über ein paar hundert Euro bestimmen darfst ... aber für das Gesamtkunstwerk der 100% verantwortlich gemacht wirst?

Jascha am :

Das wurde so ähnlich am Anfang intern von der Piratenpartei versucht und nannte sich Liquid Democracy, wo man Personen für bestimmte Themenbereiche die Stimme übertrug.

https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCssige_Demokratie

Es sollte transparent zu sehen sein wie die Personen denen man für ein Themenfeld die Stimme gegeben hat, abgestimmt haben und man konnte, wenn diese sich nicht an ihre Standpunkte gehalten hatten auch wieder die Stimme entziehen und jemand anderem geben für die nächste Abstimmung.

Durch interne Grubenkämpfe (Macht Korrumpiert halt) hat sich das dann aber leider recht schnell selbst zerlegt da viele Mitglieder darauf bestanden haben das die Abstimmungen geheim sind - was dann natürlich nicht mehr funktioniert.

Nicht der Andere am :

Grubenkämpfe statt Grabenkämpfe ist ja nochmal 'ne Ecke tiefer.

Jens am :

Das Problem mit direkter Demokratie ist, dass man sich für viele Themen erst einmal einen Moment Zeit nehmen muss, um über das Problem nachzudenken, zu schauen, was Ergebnisse in anderen Ländern waren, etc pp. In einem Parlament entstehen Gesetze nach langen Diskussionen in Ausschüssen, in denen viele Experten mit unterschiedlichsten Ansichten zu einem Thema gehört werden. Diese Zeit wird sich ein Durchschnittsbürger nicht nehmen können. Damit wird er anfällig für Populismus. Vermeintlich einfache Erklärungen, die zu einfachen Entscheidungen führen. "Hier ist Stau, wir brauchen mehr Spuren für die Autobahn!" Klingt logisch, aber das Ergebnis ist vermutlich mehr Verkehr und weiterhin Stau. "Die EU kostet zu viel! Wir brauchen das Geld für das Gesundheitssystem!". Großbritannien ist in einer der schlimmsten Wirtschaftskrisen ihrer Geschichte. Covid und der Unkrainekrieg treffen UK viel härter als die meisten EU-Länder.

Die Iren haben vor einigen Jahren intensiv diskutiert, ob sie ihr Abtreibungsverbot reformieren sollen. Die Parteien waren sich sehr uneinig. Manche wollten kleinere Lockerungen, radikalere Änderungen traute sich niemand. Das Parlament hat dann eine Art Bürgerrat eingesetzt. Dieser Rat besteht aus 100 Personen. Der Vorsitzende wird vom Parlament eingesetzt, die anderen 99 werden zufällig aus der Wahlbevölkerung ausgewählt (mit ein paar Regeln, die sicherstellen, dass die Auswahl repräsentativ ist). Das sind keine Parteimitglieder, keine Karrierepolitiker, sondern einfach Leute von nebenan. Sie bekommen eine Aufwandsentschädigung und müssen vom Arbeitgeber freigestellt werden.

Der Rat hat dann Experten eingeladen. Frauenrechtler, Kirchen, Psychologen, Ärzte, ....

Am Ende hat der Rat mit großer Mehrheit eine Empfehlung ausgesprochen: Abschaffung des Abtreibungsverbots in der Verfassung, Schaffung eines Abtreibungsgesetzes mit Fristenlösung (12 Wochen, wenn ich mich recht entsinne) und Gesundheitsklauseln für alle medizinischen Fälle. Eines der liberalsten Abtreibungsgesetze Europas. Etwas, was man im "katholischen Irland" nie für möglich hielt. Was sich keine Partei je umzusetzen gewagt hätte.

Das Parlament hat aus dieser Empfehlung dann Gesetze gemacht, über die es dann eine Volksabstimmung gab, die mit 66,4% Zustimmung angenommen wurde.

Vorteil eines solchen Rates ist, dass er kaum anfällig für versteckte Korruption ist. "Wir haben ihrer Partei die Spende für den nächsten Wahlkampf zukommen lassen. Sie sind doch weiter auf unserer Seite, nicht wahr?" - "Also, wenn es mit der Politik mal nichts mehr ist, bei uns ist noch ein netter Posten im Aufsichtsrat frei." Und die Mitglieder eines Rates müssen nicht überlegen, welche Wählergruppen sie mit welcher Idee verschrecken würden. Es gibt in der Bevölkerung Umfragen zufolge eine große Zustimmung zu Tempolimits auf der Autobahn - trotzdem trauen sich die Parteien da seit Ewigkeiten nicht dran - aus Angst vor AFD und FDP.

Molli am :

Ich befürchte, je direkter die Demokratie, desto leichter haben es radikale Meinungen. Populisten und Hetzer können sich viel leichter Sympathien aufbauen, indem sie bestimmte Themen noch emotionaler aufgeladen. Beispiel Kindesmissbrauch: Wie schnell kochen da die Emotionen hoch und die Entscheidungen werden irrational. Durch solch eine Hintertür könnte sich der Rechtsstaat unbemerkt in eine Richtung bewegen, die im Zweifelsfall zum Totalitarismus führt. Die Vergangenheit hat auch gezeigt, dass unser Staat mit wenigen, größeren Parteien leichter zu führen ist, als mit vielen kleinen Parteien, die alle für spezielle Themen stehen. Man muss sicher manchmal die Zähne zusammenbeißen, man kann sich über die Legislative immer wieder ärgern, aber ich denke, in unserem Grundgesetz wurde sehr viel Sinnvolles verankert, um uns Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Im Detail gibt's sicher viel zu tun, hier könnten längere Wahlperioden helfen, um Politikern einen Anreiz zu geben, nicht nur bis zum nächsten Wahlkampf zu denken. Gut Ding will Weile haben und manch wichtig Entscheidung ist erst einmal unpopulär. Hier kann sich jeder an die eigene Nase fassen und sich z.B. fragen: "Wird mir hier einfach willkürlich etwas weggenommen oder muss das jetzt sein, damit unsere Gesellschaft in Zukunft noch funktioniert und für unsere Nachkommen lebenswert ist?"

Raoul am :

Ach, ich würde sagen, wir wählen einfach die Violetten. Da weiß keiner, was das soll, was das bringt und warum das existiert, aber es ist halt da und schadet vermutlich auch nicht mehr als alles andere.

Mitleser am :

Der erste Volksentscheid wird dann sein, ob Björn Kommentare wieder unmodertiert veröffentlichen muss :-P ;-)

Deabonniert

Silvan Theiß am :

Ich geb mal meinen Senf als angehender Politikwissenschaftler dazu. Es ist ein sehr interessantes Konzept das aber bereits ab der Ebene Land auf praktische Probleme führt und bei unvorhergesehenem wie dem Ukraine Krieg und den Folgen sofort obsolet wäre und das durch alle Ebenen hinweg. Die Vorstellung in allen öffentlichen Gebäuden im Winter nur noch auf 19 Grad zu gehen wäre vor einem Jahr noch als fantasterei fast einstimmig im Dortmunder Rat abgeschmettert worden.

Mein Tipp schaue dir mal an welche Parteien in den meisten inhaltlichen Punkten mit dir übereinstimmt besonders auf Bremer Level und besuche mal öffentliche Veranstaltungen dieser Parteien und erkundige dich. Man muss nicht immer gleich Mitglied werden.

Roland am Donnerstag am :

es wäre mal ein spannendes Forschungsfeld, warum bei den Mitbestimmungswahlen der Studierenden an Unis die PolitikwissenschaftlerInnen immer die geringste Wahlbeteiligung hatten (zumindestens zu meiner Zeit vor 30 Jahren) ... dabei war der Abstand nicht wenige Prozente, sondern Faktor 2 bis 3 gegenüber technischen Studiengängen.

Silvan Theiß am :

Geringste weis Ich nicht, aber Ich kenne es auch nicht anders als dass es beschämend geringe Wahlbeteiligungen gab. Seit Ich studiere (aufgrund Studiengangwechsel auch schon seit 8 Jahren) habe Ich nur während Corona eine Wahl verpasst.

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