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Das fiktive Tagebuch von Oma Anna

"Oma Anna" besucht meinen Laden teilweise mehrmals täglich. Immer wieder verwickelt sie Leute in lange Gespräche, die man auch wegen ihrer lieben Art kaum unterbrechen mag. Mittlerweile aber nur noch andere Kunden, denn meine Mitarbeiter wissen inzwischen, dass man sie einfach nach ein paar Sätzen abwürgen kann, ohne dass sie es einem übel nimmt.
Gestern war sie wieder hier und eine Kollegin witzelte herum: "Die verarscht uns bestimmt alle nur. Die schreibt in Wahrheit ihr eigenes Blog und amüsiert sich darüber, wie alle sie für das arme, alte Mütterchen halten." – Tzja, wer weiß…

Annas Tagebuch

Montag, 10. Januar 2011
Heute werde ich nicht erst zum SPAR sondern zum Wochenmarkt in der Pappelstraße gehen. Nach dem Wochenende sehe ich sonst zu erholt aus und die Leute halten mich für fit und rüstig. Hah!

Mittwoch, 12. Januar 2011
Die Mitarbeiter beim SPAR müssen mich durchschaut haben. Grüßen zwar aus der Entfernung oder im Vorbeihuschen, halten aber nie an. Ob die wirklich so oft telefonieren müssen? Ich glaube inzwischen, die halten sich immer nur ihre ausgeschalteten Handys an die Ohren. Ich werde es noch herausfinden.

Dienstag, 18. Januar 2011
Gut, dass ich auf dem Sperrmüll diesen uralten Rollator mit den abgefahrenen Reifen gefunden hatte. Das zerfledderte Einkaufsnetz und die Roststellen machen genau den Eindruck, den ich wollte: Mittel- wie hilflos. Den Leuten werde ich es noch zeigen.

Donnerstag, 27. Janaur 2011
Mist: Bei SPAR gibt es keine kleinen Packungen Jacob's Krönung mehr. Die waren zwar teurer als die großen, passten aber genau auf die freie Fläche zwischen meinen Monitor und den Kaffeeautomaten. Naja, dann brauche ich den nicht mehr jeden Tag zu kaufen.

Mittwoch, 2. Februar 2011
Hatte mir extra den Wecker gestellt, um die nette Verkäuferin am Kühlregal auf jeden Fall zu erwischen. War aber leider krank. Habe aber Gelegenheit gehabt, einer jungen Mutti dreimal von meiner Hüft-OP zu erzählen.

Freitag, 11. Februar 2011
Endlich wieder ein Erfolgserlebnis im Supermarkt. Ein neuer Mitarbeiter in der Getränkeabteilung war noch nicht "geimpft" und hat eine Stunde lang meiner Geschichte zugehört, während er nebenbei mit mäßigem Erfolg versuchte, Getränkekisten zu stapeln.

Mittwoch, 23. Februar 2011
Der rothaarige Filialleiter hat mir gesagt, dass ich erst gestern eine Packung Kaffee gekauft hatte. Glaubt der, das weiß ich nicht? Er ist drauf reingefallen, als ich sagte, dass ich nur hin und wieder eine Tasse trinken würde. Vermutet wohl, meine ganze Wohnung ist voller versteckter Kaffeepäckchen.

Donnerstag, 3. März 2011
Herausgefunden, dass es wunderbar hilft, sich vor dem Leergutautomaten hilflos zu stellen und die Flaschen verkehrt herum reinzustecken. Schön, wie alle um einen bemüht sind. Einer wird mir zuhören müssen.

Dienstag, 15. März 2011
Bisheriger Tiefpunkt des Jahres: Ein junger Mann, der sich mir als Altenpfleger vorgestellt hat, konnte drei Stunden zuhören und es wurde ihm nicht langweilig. Meine Beine wurden müde und ich brach das Gespräch ab.

Montag, 21. März 2011
Frau Grubner aus dem Skatklub hat in einem ruhigen Moment der zweiten Kassiererin die komplette Geschichte von ihrer Familie und dem Onkel, der in Bassum Tulpen züchtet erzählt. Fast fünfzig Minuten lang. Showkiller. Ich werde neue Pläne schmieden müssen…

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Kommentare

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rusama am :

wer führt eigentlich diesen blog weiter wenn herr harste im hohen alter im feierabendheim valiumseelig aus dem fenster grinst ??? :-O

KayGee am :

Das wird uns egal sein, weil wir dann dement neben ihm sitzen und uns fragen, warum uns der nette junge Mann so bekannt vorkommt.

Dennis am :

Geht das nicht ein klein wenig weit?

DJ Teac am :

Stimme ich dir voll und ganz zu.

Es gehört sich nicht während der Arbeit mit dem Handy zu telefonieren!

Klodeckel am :

Die alten Schlossgeister sind schon manchmal merkwürdige Zeitgenossen. In "meinem" Penny Markt kauft regelmäßig eine ältere Frau ein, die mit sich selber ausdiskutiert, welche Waren sie in ihren Einkaufswagen legt. Und zwar bei jedem einzelnen Teil, das sie in die Hand nimmt. An der Kasse wirkt sie dann wieder ganz normal, aber so ein Verhalten gibt einem ja schon zu denken, ob man im Alter vielleicht mal selber so wird und dann von den jungen Menschen als "senil" oder "dement" belächelt wird.

The other one am :

Manche Zeitgenossen schaffen das schon in jungen Jahren. 8-)

Klodeckel am :

Danke für das nette Kompliment! Ich fühl mich gerade wieder wie 25, herrlich ist das! 8-)

niklasR am :

Die letzten beiden Eintraege sind die besten :-) *schadenfroh*

rusama am :

als ich noch sehr jung war (10 jahre) haben wir bei der Verlobten (70 jahre) meines verstorbenen Opas gewohnt,die Frau war nun wahrlich nicht einsam hat aber jeden Tag den Kaffeetisch in ihrem Wohnbereich für 2 Personen gedeckt , dann mit einer fiktiven Person Kaffee getrunken und wild diskutiert.Als Kind fand man das irgendwie lustig aber später gab es einen zu denken

K am :

Zeitmaschine: Schau einen alten Menschen an - und Du siehst Dich selber.

Ich nutze diesen Begriff, wenn sich "junge Menschen" (bei mir ist das schon jeder unter 25) über mich amüsieren oder mir widersprechen:
Ich starre die dann an und sage: "Ich bin Deine Zeitmaschine - sieh mich an, in [20, 25, 30... was gerade passt] Jahren wirst Du aussehen, reden und denken wie ich."

Mann, dieses Gefühl der Macht, wenn sie dann erstarren... Weil! Es! Stimmt!

The other one am :

Da kann man wirklich nur hoffen Du irrst dich.

DJ Teac am :

"Mann, dieses Gefühl der Macht, wenn sie dann erstarren"

Habe ich schon öfters erlebt, hatte bei mir aber nie irgend eine Wirkung gezeigt.

Psycho am :

Ich möcht auch nicht so aussehen. :-O

K am :

Nein, ich irre nicht - auf meiner Seite der Realität, und um die geht es hier. Die "jungen Leute" sind auf "meiner" Seite der Realität halt noch nicht angekommen, müssen sie aber auch - noch - nicht. Es gilt aber: Na, wer stirbt? Genau: Alle! :-P

"Die Leute" werden _alle_ älter ("kein Schice, Mann, jeder weiß, Mann..."), und dann werden sie unansehlich und häßlich und komisch.
Das ist wirklich so. Wer eine Ausnahme kennt, soll sich melden. (Kurt Cobain zählt nicht, der ist dem Thema nur ausgewichen.)

Wegen Erstarren: Ein gewisses schauspielerisches Talent gehört dazu - OK, das hat nicht jeder :-) Es geht auch nicht um Macht - es geht um das Erkennen (ich nannte es "Erstarren"), und das habe ich tatsächlich schon einige Male erlebt. Hält nicht lange an, ist auch gut so - aber es sind auch nicht alle auf den Kopf gefallen. "Respekt" funktioniert unter anderem durch Anschauen und Lernen.

Gloria am :

Lass es gut sein, other one.

The other one am :

Ich mache doch gar nix, ich bin ganz lieb. :-)

Abbo T.Karin am :

alt= unansehnlich; jung= schön?
Wenn Du Dir selbst im Spiegel nicht mehr gefälltst, mußt Du das aber doch nicht gleich verallgemeinern.
Ein nettes Antlitz zu haben ist kein Verdienst, sondern eine Laune der Natur und kann trotz ebenmäßiger Züge belanglos sein.
In Würde gealterte Menschen haben dagegen eine Ausstrahlung haben, die faszinierend sein kann.

The other one am :

Im Prinzip muss ein alter Mann nur drei Regeln beachten:

http://i55.tinypic.com/2eoihig.jpg

K am :

Björn:
Bitte sperr die beiden Sockenpuppen weg. Leider bin ich auf die Trollos reingefallen - hau mich nicht :-|

rusama am :

Altwerden ist nichts für Feiglinge
(Joachim Fuchsberger)

The other one am :

Oh ja, jetzt hauen wir mal unsere Weisheiten 'raus:

Mit zwanzig Jahren hat jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat, mit vierzig das Gesicht, das ihm das Leben gegeben hat, und mit sechzig das Gesicht, das er verdient.
(Albert Schweizer)

rusama am :

in Archäologe ist der beste Ehemann, den eine Frau haben kann; je älter sie wird, um so mehr interessiert er sich für sie.
Agatha Christie



Um so alt zu werden, wie heute die 20jährigen sind, hätte ein Mensch früher dreihundert Jahre gebraucht.
Wolfgang Pohrt


8-)

der_wahre_pop am :

Wo wir schon gerade dabei sind:
Die Geschichte vom ersten offiziellen Haschischtoten in Deutschland. ;-)

The other one am :

Rotterdam liegt nicht so richtig in Deutschland. 8-)

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