Im ersten Moment dachte ich, die Warensicherungsanlage hätte ausgelöst. Dann sah ich, dass es kein Alarm war. Ich musste aber schon noch etwas genauer hinsehen, um zu erkennen, dass es sich um eine umschnallbare Rückleuchte handelte, die ein Kunde auf Inlinern sich um die Stirn gebunden hatte.
Diese Geschichte hat mir gerade mein Mitarbeiter Ingo berichtet. Er stand gerade mitten im Laden als ihn eine etwa gleichaltrige (beide Mitte 20) Kundin in einem nicht zur Erscheinung ihrer Person passenden, geradezu überheblichem Tonfall ansprach:
Entschuldigung, darf ich sie etwas fragen?
Ja, aber sicher...
Wo sind denn hier die Weine des Hauses?
Mein Mitarbeiter zeigte ihr den Weg, begleitete sie in die Abteilung und zeigte ihr schließlich, um das Beratungsgespräch einzuleiten, den groben Überblick über Weiß-, Rot- und Rosé-Weine.
Ich staune ja immer wieder darüber, wenn Leute sich völlig anders verhalten, als man es ihnen durch ihre Erscheinung voruteilig zugeschrieben hätte.
So auch zwei junge Männer, die vorhin hier im Laden waren. Mit ihrer etwas – öhm – verwahrlosten Erscheinung, beinahe schon wie Junkies wirkend, erregten sie unsere Aufmerksamkeit und wir sprinteten regelrecht ins Büro, um jeden ihrer Schritte zu beobachten.
Davon ließen wir aber schon bald ab, denn umso erstaunter waren wir, als die beiden sich einen Einkaufswagen schnappten und völlig normal einkauften. Dabei in Hausfrauenmanier die Qualität der Eier überprüften. Hier verglichen, da abschätzten und schließlich ganz normal bezahlten.
So kann's gehen, wenn man durch die täglichen Erfahrungen hier auf der Fläche vorgeschädigt ist.
Ein junger Mann, etwa Anfang zwanzig, sprach mich etwas unsicher wirkend an der Lagertür an. Er fragte, ob ich ihm einige Dinge von seinem Einkaufzettel zeigen könne. Klar konnte ich und folgte ihm durch den Laden.
Auf dem Weg zum ersten Artikel gestand er, dass er "in der Schule nicht aufgepasst hätte" und nicht, bzw. schlecht lesen könne und deshalb etwas Hilfe benötigen würde.
Den Einkauf hatten wir innerhalb weniger Minuten problemlos und komplett zusammen.
Aber schwer beeindruckend fand ich, wie der Kunde mit seinem Defizit umging und einfach (?) zugegeben hat, dass er nicht lesen kann. Ich denke, die meisten Erwachsenen mit mangelhaften oder nicht vorhandenen Lese-, bzw. Rechtschreibkenntnissen, würden das nicht gegenüber einem Fremden einfach so zugeben.
Hier bei uns bekommt man seit einiger Zeit schon "gelbe Säcke" nur noch gegen Wertcoupons ausgehändigt, die man vorher via E-Mail oder telefonisch anfordern muss.
Diese Coupons kann man bei den Verteilerstellen, unter anderem bei mir, gegen die entsprechende Anzahl an Rollen mit Wertstoffsäcken eintauschen. Immer wieder fragen Kunden, ob wir nicht ausnahmsweise auch mal ohne Coupon Säcke herausgeben könnten. Könnten sicherlich, allerdings werden die Coupons bei uns in einem versiegelten Umschlag abgeholt. Ob das nur Show ist oder ob die Coupons tatsächlich gezählt werden, kann ich nicht sagen, aber auf jeden Fall möchte ich nicht riskieren, den Status Verteilerstelle zu verlieren und daher gibt es auch ausnahmsweise keine gelben Säcke ohne Coupon.
Niedlich fand ich jetzt die Frage einer Kundin, nachdem wir ihr ihre beiden Rollen ausgehändigt haben, ob sie die Coupons denn nicht wiederbekommen würde.
"Ist einer der Chefs da?", wollte ein älterer Mann wissen.
Chefsachen sind immer wichtig. So kümmerte sich nicht nur mein Vertreter um den Kunden, sondern auch ich sprang auf und beobachtete die Szene, bereit, jeden Moment einzuspringen, zunächst aus etwas Entfernung.
Gelbe Säcke wollte der Kunde haben. Wie unspektakulär.
Ja, guten Tag. Hier ist Frau Meiermüllerschulz und ich woll ...
Es folgte ein längeres, knackendes Geräusch.
Entschuldigung, mein Telefon spinnt irgendwie. Hier ist Frau Meiermüllerschulz und ich wollte bei Ihnen gerne etwas bestellen. Kann ich Ihnen da eine... Hallo? Sind sie noch da?
Während ich noch Luft zum antworten holte:
Da isser weg. [KLICK!]
Sie rief dann aber gleich nochmal an und entschuldigte dafür, dass ihr vermaledeites Telefon mich aus der Leitung geworfen hat. Ich konnte sie beruhigen und erklärte ihr, dass sie lediglich etwas zu vorschnell aufgelegt hatte. Naja, und das mit der Bestellung hat dann zum Glück auch problemlos geklappt.
Hinter meinem Rücken öffnete sich die angelehnte Bürotür. Eine halbseidene Gestalt im Teeny-Alter stand davor und fragte nach dem Chef. Ich gab mich zu erkennen und fragte, was ich für ihn tun könne. "Kommen Sie mal eben mit.", war zwar nicht die Antwort, die ich mir erhofft hatte. Ich hasse Überraschungen, aber ich ging trotzdem hinter ihm her.
An der Lagertür stand mit einem halben Dutzend gleichgesinnten eine noch unseriöser wirkende Gestalt, die ein paar Jahr älter wirkte als der Junge, der mich angesprochen hatte. Ob ich einen 1-Euro-Job für ihn hätte, wollte er wissen.
Ich drück's mal so aus: Ich hätte ihn nichtmal umsonst bei mir arbeiten lassen. Dafür guckte ich der Gang auf ihrem Weg nach draußen auf dem Monitor der Überwachungskameras zu.
Eine Kundin, die wir schon seit Jahren immer mal beliefern und über die ich im Laufe der Zeit auch immer mal gedacht habe, dass wir sie lieber nicht mehr beliefern sollten, hat heute einen Wunsch geäußert, den mein Bote ihr die Sachen vom Discounter an der Ecke besorgt. Manche Dinge (z.B. einige spezielle Eigenmarken und Angebotsartikel) würde sie nur da bekommen, aber dann natürlich gleich aus Kostengründen, schließlich muss sie die Botengänge bezahlen, ihre kompletten Einkäufe da erledigen (lassen).
Mein Mitarbeiter hat natürlich abgelehnt. Er arbeitet seit Jahren für mich, wir helfen uns bei Problemen immer Gegenseitig und er wird auf keinen Fall in seiner Rolle als mein Bote bei meiner Konkurrenz einkaufen. Sehr löblich, danke.
Dass er sich daraufhin von der Kundin in derbster Art und Weise beschimpfen lassen musste, wie sie es in der Vergangenheit schon mehrfach wegen anderer Dinge getan hat, war der Auslöser für die Entscheidung, sie ab sofort gar nicht mehr zu beliefern. Wir lassen uns echt vieles gefallen, aber beschimpfen lassen gehört nicht dazu.
Mein Kassierer rief mich an und erklärte mir, dass ich mich doch bitte mal eben persönlich um eine Kartenzahlung kümmern solle. Ich ging also zur Kasse, um mir anzusehen, was denn los sei.
An der Kasse stand ein etwas heruntergekommen wirkender Mann, auf dem Förderband vor ihm stand ein mit Bierflaschen gefüllter, ziemlich siffiger Leinenbeutel. Die Kreditkarte, die mir mein Mitarbeiter entgegenhielt, trug keine Unterschrift. Der Kunde hatte auch keinen Ausweis dabei und so verweigerten wir die Kreditkartenzahlung. "Ich hole eben bei der Sparkasse an der Ecke Geld mit der Karte. Ich habe eine PIN dafür.", sagte er, verschwand – und ward seit dem nicht mehr gesehen.
Ein Kunde beschwerte sich darüber, dass wir kein Brot mehr hätten.
Die Beruhigungsversuche mit der Erklärung, dass wir Montag Morgen kurz vor drei Uhr und damit noch kein Brot hätten, funktionierten leider nicht wirklich.
Um kurz vor null Uhr habe ich meinen Mitarbeiter in den Laden gelassen. Mit ihm wartete vor der Eingangstür eine junge Frau, die sich direkt hinter meinem Angestellten durch die Tür drängte. Die Ladenbeleuchtung war zwar noch komplett aus und auf die Idee, dass wir noch ein paar Dinge vorzubereiten hatten (Kasse zählen zum Beispiel), schien sie auch nicht zu kommen.
Wieso reicht manchen Leuten nicht ein "warten Sie noch bitte kurz ein paar Minuten vor der Tür", sondern fordern mit ihrem Verhalten eine kraft- und zeitraubende Diskussion heraus?
Muss man nicht verstehen...